[…] Angst kriege ich dort, wo die Demokratie aufgeweicht wird. Und das diskutierte Urteil des Verfassungsgericht ist IMO ein kleiner Schritt in diese Richtung. Bzw. es provoziert weitere Schritte in diese Richtung. Weicht die Demokratie den Lösungen von aktuellen Problemen (zugegeben, das vorliegende Problem ist alles andere als akut - ich meiner hier das Prinzip) aus und verrennt sich stattdessen in Wunschoptionen, die so gar nicht bestehen, werden Anreize geschaffen, die Probleme weniger demokratisch zu lösen.
Wie ich ja in meinem vorherigen Post geschrieben habe, ist die Unvereinbarkeit des LuftSicherheitsG (LuftSiG) mit der Verfassung ja nicht an dem Artikel 1 GG gescheitert, sondern an Art. 35 Abs. II und III GG. Von daher kann ich deinen Einwand, dass die Demokratie aufgeweicht wird, nicht richtig nachvollziehen.
Tja, die Menschenwürde. Ja, sie und der damit begründete Einwand ist in gewisser Hinsicht natürlich sehr grundlegend. Aber halt auch etwas schwammig und willkürlich. Was genau ist unter der Menschenwürde zu verstehen? Was genau ist mit diesem seltsamen etwas gemeint, das gemäss Eurem GG absolut unantastbar ist? Jede Nation und gar jedes Individuum wird den Begriff leicht anders definieren und auffassen.
Das GG und auch das BVerfG haben da ganz genaue Vorstellungen. Der Mensch hat seine Würde aufgrund seines eigenen selbstbestimmten Verhaltens. Es ist das unveräußerliche Recht, dass jedem Individuum mit dem Erreichen eines lebensqualifizierenden Stadiums mitgegeben wird. Und bei einem Urteil des BVerfG lässt sich die Menschenwürde auch nur an den Definitionen des GG messen. Wie der/die Einzelne diese Menschenwürde mitunter sieht oder sehen möchte, spielt deswegen eine untergeordnete Rolle.
Stur ist es für mich deshalb, weil es hier ja um Situationen geht, in der letztlich viele Menschen in ihren Grundrechten (Recht auf Leben) und in ihrer Menschenwürde verletzt werden. Entsprechende Verletzungen können IMO nicht nur durch staatliches Handeln, sondern auch durch staatliche Unterlassungen geschehen. (Handelt der Staat, sterben Menschen. Handelt der Staat nicht, sterben noch mehr Menschen und es werden mehr Menschen in ihrer Menschenwürde verletzt.) Sich bei der Begründung seines Tuns (das Handeln und Nicht-Handeln umfassend) nur auf einen Teilaspekt zu stützen und damit das Recht auf die Menschenwürde nur jenen zuzugestehen, welche zuerst vom eigenen Tun betroffen wären und die anderen und die Gesamtsicht auszublenden, ist in meinen Augen Vogel-Strauss-Politik (bzw. Legislation). Überspitzter Formalismus hiesse der Vorwurf, wenn es um weniger wichtige Dinge wie Menschenleben und -würde ginge.
Und hier muss man den Schnitt zwischen der juristischen und der moralische-menschlich-wertenden Sichtweise machen.
Du siehst es aus der "normal-menschlichen" Sicht, die aus der Moral einfach eine wertende Position einnimmt. Und genau das darf bei der juristischen Betrachtung keine Rolle spielen.
Auch der Ansatz, dass in der Öffentlichkeit Leben gegen Leben aufgerechnet wird, ist falsch. Der Schutz der Menschenwürde geht soweit, dass der Staat selbst dann nicht einen Menschen zum "Subjekt staatlichen Handelns" machen kann, selbst wenn durch die Tötung dieses einen Menschen, die gesamte Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland gerettet werden könnte (andernfalls sie komplett sterben würde). Denn es bleibt immer noch der Eingriff, der durch die Verfassung nicht legitimiert werden kann.
In dem Beispiel Flugzeugentführung durch Terroristen, die das Flugzeug in ein Hochhaus (oder was auch immer) steuern, muss man sehen, dass es, solange diese Handlung durch die Terroristen geschieht, sich es sich um keinen speziellen Angriff auf die Menschenwürde handelt, denn Kriminalität und lebensbedrohliche Kriminalität sind Geißel einer jeden Gesellschaft.
Also wäre eine solche Mehrheitswillkür, wie sie Schäuble anstrebt, ein glatter Verfassungsbruch. Denn es geht in seinem Gedankenkonstrukt um die Aufrechnung Leben gegen Leben (und das bei einem promovierten Juristen

) und somit auch um den Handlungsfreiraum für eine staatliche Willkür.
Als kleines Gedankenexperiment:
Wie würde es denn aussehen, wenn Terroristen ein Flugzeug in ihre Gewalt bringen würden, dass auf ein Hochhaus in Frankfurt zusteuern würde, und in dem Bundeskanzlerin Merkel und Teile der Regierung, sowie Größen aus der Wirtschaft sitzen würden? Wäre Schäuble da auch so schnell mit einem Abschuss? Mit dem Gegenrechnen von Leben? Und was würde bei seiner Rechnerei herauskommen? Wohl kaum, dass dieses Flugzeug abgeschossen wird. Und damit hat man den Diskussionsendpunkt hierbei erreicht. Denn es würde reine Willkür werden, nach welchen Kriterien eine Maschine abgeschossen würde oder nicht abgeschossen würde.
Ich habe schon eine Vorstellung der Menschenwürde. Aber die kann so im GG nicht gemeint sein. Ich würde mich z.B. in meiner Menschenwürde verletzt fühlen, wenn ich zu einer Gefängnisstrafe verurteilt würde. Oder ich habe mich in meiner Menschenwürde verletzt gefühlt, als man bei der Musterung nackt von einer Musterungskommission begutachtet wurde. Das kann aber alles nicht gemeint sein. Diese Menschenwürde kann nicht unantastbar sein. Was das GG unter der Menschenwürde genau versteht, die sie für absolut unantastbar erklärt, ist mir ehrlich nicht restlos klar. Das ist nicht rhetorisch, sondern ganz aufrichtig gemeint.
Bei der Musterung kannst du mit der Begründung der Menschenwürde das nackt begutachtet Werden verneinen. Das nur als kleiner Einwurf (natürlich weiß ich, dass hier einfach mal Dinge gebeugt werden, das Militär ist ja hart und da muss man hart sein bla bla

).
Bei der Gefängnisstrafe bist du aber nicht bei der Menschenwürde, besser deinem Recht zum Schutz deiner Menschenwürde, sondern hierbei handelt sich um einen Eingriff, der in Deutschland in das Recht aus Artikel 2 Absatz II GG (Die Freiheit der Person ist unverletzlich) einschneidet. Aber weiter in Satz 3 steht:
In dieses Recht darf nur aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden. Weiteres regelt dann der Artikel 104 GG.
Und wenn du eine straftatsrelevante Handlung begangen hast, dann hat der Staat das Recht aufgrund eines Gesetztes, dich hierfür zu sanktionieren. Das fällt garantiert nicht unter den Schutzbereich der Menschenwürde. Es würde die Menschenwürde berühren, wenn dir der Staat die Chance nehmen würde, jemals wieder aus der Haft oder Verwahrung entlassen zu werden.