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daveinitiv

Ein Meilenstein für die Frauen im Islam und für den Islam
November 30, 2006, 13:12:07
Am 22. und 23. November fand an der Azhar-Universität zu Kairo eine Konferenz von hohen geistlichen Islam-Gelehrten, medizinischen Wissenschaftlern, darunter Gelehrte aus arabischen, europäischen, afrikanischen und asiatischen Ländern, statt. Schirmherrschaft hatte Großmufti Prof. Ali Goma’a, höchster Richter für Islamisches Recht, übernommen, geladen und organisiert wurde diese Konferenz von TARGET Human Rights, 2000 gegründet, in Personam Rüdiger Nehbergs und Anette Webers.
Thematisch drehte es sich um die heikle Frage der Genitalverstümmelung bei Frauen und die islamische Position zu diesem »Brauch«.
Sensationelles Ergebnis dieser Konferenz: Die weibliche Genitalverstümmelung verstößt gegen die höchsten Werte des Islam und ist somit zu ächten und deshalb ein strafbares Verbrechen.

Der Großmufti Prof. Ali Goma’a hatte die Teilnehmer und das »Mekka der Gelehrten«, die älteste Universität der Welt, vorgeschlagen. Die Wahl hätte nicht besser ausfallen können, allein das Ergebnis zeigt schon den richtigen Bezug.

In den zwei Tagen der Konferenz ging es vornehmlich um die Klärung der Frage, ob es in den Heiligen Schriften, dem Koran, eine verbindliche Aufforderung existiert, die Mädchen zu verstümmeln. Die Äußerungen der Gelehrten gingen in die Richtungen, dass eine Hadith (eine Überlieferung des Propheten, die nach seinem Tod aufgeschrieben wurde) gibt, von der die Sunna (eine vorbildliche, sich am Propheten orientierende Handlungsweise) abgeleitet wurde, dass eine »leichte« Beschneidung erwünschenswert sei.
Da mit überraschender Offenheit diskutiert wurde, waren sich die Theologen einig, dass es sich bei dieser Hadith um eine schwache Schrift handelt – die Hadithe werden in starke (absolut glaubenswürdige), weniger starke und schwache (Überlieferung ist unsicher) unterteilt.

Im Folgenden wurde die medizinische Wertung vorgenommen. Da der Koran im Zweifelsfall, die Anrufung der Wissenschaftler verlangt (»befragt die Wissenschaftler«), hatte Prof. Ali Goma’a drauf bestanden, Experten zu diesem Sachgebiet zu laden. Fünf Experten der Medizin aus Ägypten, Äthiopien und Deutschland. Es wurde erörtert, ob diese »leichte« Beschneidung, die oft fälschlicherweise mit der Beschneidung des Mannes verglichen wird, eine wirkliche Körperschädigung darstellt.
Einhellig waren sich die Mediziner in ihrer Meinung und Beurteilung, dass die weibliche Beschneidung, eine unsägliche Belastung mit Schmerzen, Traumata und irreparablen Schäden für die Frau darstellt und in ihre körperliche Unversehrtheit eingreift.

Die theologische Diskussion hatte eine selten da gewesene Dimension. Dazu Imam Tarafa Baghajati aus Österreich: »Mehr noch als der Mann, denn sie hat die Folgen, nämlich die Schwangerschaft, zu tragen.«, der deutlich das Recht der muslimischen Frau auf eine uneingeschränkt erfüllte Sexualität darlegte.

Nach zwei Tagen der Diskussion zogen sich die Gelehrten zurück und fällten im Anschluss eine basisbrechende Entscheidung – die Verstümmelung der weiblichen Genitalien ist zu ächten.
Dieser Beschluss hat die Wirkung und den Wert eines verbindlichen Rechtsgutachten, einer Fatwa und darf zweifelsfrei als theologische Sensation gewertet werden.

Auszug:

»Die Genitalbeschneidung bei Frauen ist eine ererbte Unsitte […] ohne Grundlage im Koran respektive einer authentischen Überlieferung des Propheten […] Daher müssen die Praktiken unterbunden werden in Anlehnung an einen der höchsten Werte des Islam, nämlich den Menschen unbegründet keinen Schaden zufügen zu dürfen […] Vielmehr wird dies als strafbare Aggression gegenüber dem Menschengeschlecht erachtet. ..verheerende Konsequenzen für die Gesellschaft […] Die Legislativ-Organe sind aufgefordert, diese grausame Unsitte als Verbrechen zu deklarieren.«

Prof. Dr. Ali Goma’a, Grand Mufti Al-Azhar




Ich wundere mich, warum den hiesigen Onlinemedien dies keine Meldung wert war, hat doch diese Konferenz und ihr Ergebnis eine bahnbrechende Wirkung für die Frauen in der islamischen Welt und bedeutet wesentlich mehr als ein Achtungserfolg. Zeigt es doch ganz deutlich, dass der Islam genauso fähig ist Entwicklungen zu machen und die Schritte zur Gleichberechtigung und der Eigenverantwortung größer werden zu lassen.

Besonders für Rüdiger Nehberg und seiner TARGET Human Rights Organisation ist es mehr als ein Erfolg, es ist die Anerkennung seiner Arbeit und seines Einsatzes. Für Rüdiger Nehberg selbst, der ein Großteils seines Lebens für den Kampf der Menschenrechte eingesetzt hat, seit 1980 setzt er sich für das Yanomami Indianervolk ein, ist dies eine Achtung und das Zollen von Respekt seines unermüdlichen Einsatzes gegenüber. Dieser Erfolg lässt diesen Menschen, wenn immer er zurückschauen wird, stolz sein und wissen, dass er auf dieser Welt etwas bewirkt hat, das eine absolut positive Auswirkung für ganz viele Menschen haben wird.
Re: Ein Meilenstein für die Frauen im Islam und für den Islam
Antwort #1: November 30, 2006, 14:40:27
das alles wäre tatsächlich ein "meilenstein"!
warum dies allerdings nicht in den großen medien auftaucht, bleibt fraglich.
vielleicht wird es noch aufgegriffen.
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Florian

  • Zurück in der Zukunft
Re: Ein Meilenstein für die Frauen im Islam und für den Islam
Antwort #2: November 30, 2006, 17:56:25
Wirklich interessant wie wenig Wellen das schlägt. Vielleicht weil die Haltung des Großmuftis schon öfters erwähnt wurde? Zwar findet man über Google schon einiges, aber so richtig in TV, Zeitungen und Radio war da wenig bis gar nichts, denke ich.

Auf jeden Fall ein tolles Engagement. Wie schwierig dieser Kampf ist, kann man sich wohl kaum vorstellen. Den Leuten näher zu bringen was für ein Unrecht diese "Tradition" ist versucht man ja schon lange, teilweise mit Erfolg, aber immer gegen massive Widerstände. Hoffentlich wird das nun etwas leichter.
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Re: Ein Meilenstein für die Frauen im Islam und für den Islam
Antwort #3: November 30, 2006, 18:16:16
… und sie bewegt sich doch …
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elafonisi

  • Verbergnix
Re: Ein Meilenstein für die Frauen im Islam und für den Islam
Antwort #4: November 30, 2006, 20:38:01
Ein Grund für die mediale Abstinenz könnte darin zu suchen sein, dass es idiologisch wesentlich leichter fällt den Isalm an den Pranger zu stellen (Islam = Rückständigkeit, Gewalt, Unterdrückung), als ihm den Willen und die Fähigkeit zur Wandlung zu bescheinigen.
Re: Ein Meilenstein für die Frauen im Islam und für den Islam
Antwort #5: Dezember 01, 2006, 14:01:02
noch was:



YES

<Nachtrag: um nicht falsch verstanden zu werden; ich fände es NICHT gut, wenn die Frau AIDS hätte.
Ich finde es gut, dass sie sich mit AIDS-Kranken solidarisiert>
« Letzte Änderung: Dezember 01, 2006, 16:33:03 von tertinator »
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mathias

  • Trompeten statt Raketen!
Re: Ein Meilenstein für die Frauen im Islam und für den Islam
Antwort #6: Dezember 02, 2006, 03:14:09
Bin mal wieder anderer Ansicht. Ich kann keinen "Meilenstein" für die Frauen entdecken.:
Ich finde schon die Formulierung ziemlich daneben: »Die Genitalbeschneidung bei Frauen ist eine ererbte Unsitte... [...]Die Legislativ-Organe sind aufgefordert, diese grausame Unsitte als Verbrechen zu deklarieren...«
In dem Zusammenhang von Unsitte zu sprechen, ist schon etwas zynisch. Ich nenne das eher Körperverletzung oder  Verstümmelung - also ein Verbrechen.

Die weibliche Genitalverstümmelung verstößt gegen die höchsten Werte des Islam und ist somit zu ächten und deshalb ein strafbares Verbrechen.
Würde diese "Unsitte" nicht gegen islamische Werte aber gegen Menschenrechte verstoßen, was dann? Würde die Menschenwürde dann hinter dieser Unsitte hintenanstehen?
Und wie ist es mit Steinigungen, Handabhacken? Muß dazu auch eine Konferenz abgehalten werden nur um festzustellen, daß nach Aussagen von Ärzten eine solche Strafe eine unsägliche Belastung mit Schmerzen, Traumata und irreparablen Schäden zur folge haben kann bzw. die körperliche Unversehrtheit angreift? Sorry, aber solange eine Religion soetwas noch zuläßt, ist sie in meinen Augen total rückständig.

Da ich wahrscheinlich die Sprache nicht Spreche, in der Prof. Dr. Ali Goma’a, Grand Mufti Al-Azhar sein Urteil im original verfaßt hat, bin ich mir bewusst, daß das Wort "Unsitte" möglicherweise im Originaltext eine andere Bedeutung hat als im Deutschen und meine Beurteilung dessen wiederum möglicherweise falsch ist. Allerdings ändert das nix am Gesamtkontext.

Gute Nacht, Mathias.
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Florian

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Re: Ein Meilenstein für die Frauen im Islam und für den Islam
Antwort #7: Dezember 02, 2006, 12:48:56
Der Herr spricht eben in seiner Eigenschaft als religiöser Gelehrter. Aus diesem Kontext heraus ist doch verständlich, warum er die Nichtvereinbarkeit mit dem Islam betont, zumal sich oft fälschlicherweise auf den Koran berufen wird, um dieses Verbrechen zu rechtfertigen.
Unsitte ist natürlich ein problematisches Wort, inwiefern hier die Übersetzung Anteil hat, weiß ich nicht.  Andererseits kann man ja schon davon sprechen, daß dieses Verbrechen in den Gemeinden, in denen es praktiziert wird, die Norm ist und damit den dortigen Sitten entspricht - das macht es ja so schwer, dagegen anzukämpfen. Insofern erklärt sich vielleicht der Gedanke, der zum Begriff führte. 

Inwiefern das Konzept der Menschenrechte, wie wir es heute - auch erst seit Kurzem - verstehen, mit dem Islam in der Auslegung dieses Herren vereinbar ist, weiß ich nicht. Das sind wirklich hochkomplexe theologische Fragen. Nicht, daß der Mensch sie hat, sondern woher sie kommen/wer sie gibt, warum und wie...

Muss man dazu eine Konferenz abhalten? Nein, der Mann hat sich ja auch schon vorher eindeutig geäußert. Er kann aber nicht einfach einen religiösen Text raushauen, der dann möglichst verbindlich sein soll. Wenn Du noch mal den ganzen Text liest, siehst Du, daß er an ein gewisses Prozedere gebunden ist, sonst ist es eine Meinungsäußerung, mehr nicht.
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