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Brexit
Juni 24, 2016, 06:42:40
Jetzt bin wirklich gespannt, wie das weitergeht.
Gibt es wirklich nur Nachteile für die Briten und für die EU?
Beide Lager haben im Vorfeld ja genau gewusst, was geschehen wird, mal sehen, wie's wirklich wird.

Zieht die Regierung in London noch die Notbremse und hält sich nicht an das Ergebnis?

Oder ist's am Ende wie mit dem Millennium-Bug, eigentlich passiert nix?

Florian

  • Verderbliche Ware!
Re: Brexit
Antwort #1: Juni 24, 2016, 13:53:55
Jetzt bin wirklich gespannt, wie das weitergeht.
Gibt es wirklich nur Nachteile für die Briten und für die EU?
Beide Lager haben im Vorfeld ja genau gewusst, was geschehen wird, mal sehen, wie's wirklich wird.

Ansichtssache. Die wirtschaftlichen und politischen, auch geopolitischen Nachteile auf beiden Seiten sind sicher größer. Und die Vorteile nur schwierig zu erreichen und für viele vielleicht gar keine, sondern Zumutungen.
Was ich damit meine: Mit den Briten war keine weitere Einigung zu machen. Gleichzeitig blockierten sie Fortschritte auch allein für die Euro-Gruppe, zu der sie gar nie gehörten.
Theoretisch könnten sich die anderen also nun fester zusammenbinden - nur erweisen sich manche anderen Länder ja als noch widerspenstiger als die Engländer, die Populisten aller Couleur jubeln und werden der UKIP versuchen nachzueifern.


Umso härter dürften die Briten jetzt angefasst werden, auf Vergünstigungen wegen ihrer Wichtigkeit brauchen sie nicht hoffen.

m.E. ist Deutschland der größte Verlierer, auch wenn vielleicht ein kleiner Teil des Finanzsektors nach Frankfurt wandert (was auch zweischneidig ist). Wirtschaftlich, aber eben auch, weil die Briten sehr oft auf unserer Seite standen. Jetzt dürfte die EU südlich und östlicher werden. Gleichzeitig bleibt die derzeitige ungewollte Führungsrolle Deutschlands quasi zementiert, was den Gegenwind noch verstärken dürfte. Italien und Frankreich scheinen ja auf längere Sicht nicht hoch zu kommen. Polen könnte irgendwann mal wirtschaftlich aufschließen, aber das dauert noch Jahrzehnte.
Werden jetzt Stimmen laut, man brauche die Türkei als Gegengewicht zu Deutschland?


Zitat
Zieht die Regierung in London noch die Notbremse und hält sich nicht an das Ergebnis?

Ganz sicher nicht, so etwas ist dann doch unvorstellbar.
Cameron ist schon zurückgetreten.

Jetzt müssen wir erstmal schauen, wie es in GB weitergeht mit der Regierungsbildung und wann dann der Austrittswunsch übermittelt wird. Dafür gibt es ja ein vertraglich geregeltes Prozedere. Hält man sich daran, geht das über zwei Jahre und bis dahin ist GB noch EU-Mitglied.
Folgt ein wilder Austritt, dürften die Verwerfungen noch viel größer werden.

Zitat
Oder ist's am Ende wie mit dem Millennium-Bug, eigentlich passiert nix?

Das wird immer so dargestellt. Erst wurde die Gefahr hysterisch übertrieben, dann passierte fast nichts und man hakt es ab. Hätten vorher aber nicht viele Leute ordentlich Überstunden geschoben, wäre das nicht so glimpflich abgelaufen.
Man konnte sich eben vorbereiten. Hoffentlich hat man das auch beim Brexit gemacht.



Edit: Und so machen Populisten Politik:
Erst mit falschen Zahlen Versprechungen machen, direkt nach dem Wahlsieg diese dann sofort einkassieren.
http://www.sueddeutsche.de/politik/ukip-chef-farage-kassiert-wichtigstes-brexit-versprechen-direkt-wieder-ein-1.3049615

Und nein, dass machen nicht alle so.

Edit 2:
Schottland hat sich eindeutig für Remain entschieden und die Nationalisten drängen auf eine neue Unabhängigkeits-Abstimmung.
Auch Nordirland hat sich, gespalten wie zu erwarten, mehrheitlich für Remain entschieden. Die Grenze zur Republik Irland ist bald EU-Außengrenze mit allen Folgen. Auch wird befürchtet, dass die Provinz von London nicht annähernd so viele Subventionen bekommt wie von der EU. Sinn-Féin-Urgestein McGuiness fordert schon ein neues Unabhängigkeitsreferendum. Vom Bevölkerungsgemisch her dürfte es reichen, will sagen die Katholiken vermehren sich eben stärker, zudem sind mittlerweile viele Polen im Land - katholisch und als Ausländer EU-freundlich. 

Könnte also sein, dass in ein paar Jahren Großbritannien nur noch aus England und Wales besteht. Wobei auch in Wales erfolgreiche Austritte der anderen Nationen den Separatisten Aufwind geben dürfte. Dann stünde England alleine da.


Beim Brexit sieht man übrigens auch sehr stark die Macht der Älteren. Jung sehr oft für remain, Alt oft für leave.
Diesen demographischen Wandel und seine politischen Auswirkungen sehen wir hierzulande ja noch stärker. Glücklicherweise sind unsere Alten noch mehrheitlich geimpft gegen Nationalismus. Aber generell hat man im Alter natürlich oft mehr Probleme mit „dem Fremden“, dass ist ja kein neuer Befund und auch nicht böse gemeint.
In GB kippt die Mehrheit übrigens schon bei „ab 50 Jahre".
« Letzte Änderung: Juni 24, 2016, 15:04:01 von Florian »
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Florian

  • Verderbliche Ware!
Re: Brexit
Antwort #2: Juni 24, 2016, 19:46:35
Google-Suchergebnisse beweisen: Viele Briten wussten nicht, über was sie eigentlich genau abstimmen.
http://arstechnica.com/tech-policy/2016/06/brexit-google-search-trends-tech/
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Re: Brexit
Antwort #3: Juni 24, 2016, 20:00:46
Google-Suchergebnisse beweisen: Viele Briten wussten nicht, über was sie eigentlich genau abstimmen
Das ist doch bei jeder Wahl so. Der Großteil der Wahlberechtigten ist doch mit der Einschätzung dessen, was sie erwartet völlig überfordert.
Demokratie überfordert gerne.

Florian

  • Verderbliche Ware!
Re: Brexit
Antwort #4: Juni 25, 2016, 13:52:12
Man hofft und nimmt eigentlich doch an, dass sie vorher googeln. Naja.
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Re: Brexit
Antwort #5: Juni 25, 2016, 13:59:56
Geil fand ich die Aussage eines englischen Journalisten der meinte, Johnson sei für den Brexit gewesen, weil die andere Position bereits von seinem Kontrahenten um den Premierministerjob besetzt war.

Man kann schon den Eindruck bekommen, als sei der ganze Brexit ein Missverständnis.
« Letzte Änderung: Juni 25, 2016, 14:08:58 von fränk »

Florian

  • Verderbliche Ware!
Re: Brexit
Antwort #6: Juni 25, 2016, 14:05:14
Das ist auch so!
Johnson und Cameron sind Intimfeinde seit Elite-Uni-Zeiten. Johnson sah die Möglichkeit, ihn abzulösen und schwenkte reichlich spät voll auf den Brexit-Kurs ein.
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Florian

  • Verderbliche Ware!
Re: Brexit
Antwort #7: Juni 26, 2016, 12:47:00
Zitat
Zieht die Regierung in London noch die Notbremse und hält sich nicht an das Ergebnis?

Ganz sicher nicht, so etwas ist dann doch unvorstellbar.
Cameron ist schon zurückgetreten.

So undenkbar offensichtlich doch nicht.  :P
Jedenfalls ist das Referendum rechtlich nicht binden und dann gibt es ja auch die Diskussion um eine zweite Abstimmung. Das Parlament könnte den Text auch noch ändern.
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Re: Brexit
Antwort #8: Juni 26, 2016, 12:54:04
Der Plan scheint wohl zu sein, den fertig verhandelten Ausstiegsvertrag durch einen weiteren Volksentscheid ablehnen zu lassen.

Die Sieger vom Donnerstag sind immer noch nicht aufgetaucht.
Ich glaube inzwischen wirklich an einen großen Irrtum und an einen Riesenschrecken, der den Führern der Brexitbewegung in die Knochen gefahren ist.
Hier wurde wohl aus einem lustigen Spaß bitterer Ernst.

Genau so wenig, wie die EU einen Plan für den Fall des Brexits hatte, haben wohl auch die Brexitsieger keinen.
Re: Brexit
Antwort #9: Juni 26, 2016, 19:08:57
Der Plan scheint wohl zu sein, den fertig verhandelten Ausstiegsvertrag durch einen weiteren Volksentscheid ablehnen zu lassen.

Genau das halte ich auch für das wahrscheinlichste Szenario.

Die Sieger vom Donnerstag sind immer noch nicht aufgetaucht.

Ich würde sagen, falls die Brüsseler-Bürokraten diesen Wink mit dem Zaunpfahl nun endlich verstanden haben sollten, dass die Völker Europas (womöglich mit Ausnahme von Euch Deutschen und den Österreichern) die Nase voll haben, von sich in immer weitere Themengebiete ausbreitenden Gleichschaltungen, dann könnte es sehr viele Gewinner dieser Abstimmung geben. Aber ich fürchte, das ist vergebene Hoffnung.
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Complete liberty of contradicting and disproving our opinion, is the very condition which justifies us in assuming its truth for purposes of action; and on no other terms can a being with human faculties have any rational assurance of being right. (John Stuart Mill - On Liberty)

Florian

  • Verderbliche Ware!
Re: Brexit
Antwort #10: Juni 26, 2016, 20:51:47
Na, ich würde gerne mal sehen, wie so eine Abstimmung in Deutschland oder Österreich ausgehen würde! Umfragen bilden das eben gerade nicht zuverlässig ab, wie wir ja immer wieder sehen.

Ich habe fränk so verstanden, dass die Brexit-Fans sich doch auffallend zurückhalten. Als wären sie verkatert.

Übrigens sind es nicht die Brüsseler Bürokraten und auch nicht die sagenumwobenen Kommissare (ja anscheinend an allem schuld), die sich „Gleichschaltungen“ ausdenken. Das allermeiste geht von den Regierungen der Mitgliedsländer aus. Das viel angeglichen wird, ist natürlich wahr und wohl in so einem Konstrukt auch unvermeidlich. 
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Re: Brexit
Antwort #11: Juni 26, 2016, 21:09:56
Na, ich würde gerne mal sehen, wie so eine Abstimmung in Deutschland oder Österreich ausgehen würde! Umfragen bilden das eben gerade nicht zuverlässig ab, wie wir ja immer wieder sehen.

Vielleicht sind die zunehmend unzuverlässigen Umfragen wirklich ein Problem für die Politikverantwortlichen.
Vielleicht haben die Brexitbefürworter tatsächlich selber nie an einen Erfolg geglaubt und waren damit auch einverstanden.
Und dann lagen die Umfragen um einige Prozentpunkte daneben und das reicht dann für ein 52:48 anstatt für einen 5 Punkte Vorsprung für die andere Seite.

Die Idee, dass Politiker zukünftig mehr mit Überzeugungen punkten müssen, anstatt mit dem Reagieren auf Umfragen, find' ich klasse.

Ich glaube die Brexitbefürworter bleiben abgetaucht, weil sie das Ergebnis, so wie es gekommen ist, weder erwartet noch wirklich gewollt haben. Denen geht der Arsch schlicht und ergreifend auf Grundeis, weil sie sich nun in der Situation sehen, massive Verschlechterungen für GB verantworten zu müssen.
Denen ist der Spaß einfach zu ernst geworden.
Re: Brexit
Antwort #12: Juni 26, 2016, 21:23:14
Was würdest Du denn von den Befürwortern jetzt genau erwarten?

Die können zum jetzigen Zeitpunkt ja genau sowenig Fakten aus dem Hut zaubern, wie das die Gegner können. Es folgen jetzt schwierige Verhandlungen. Das war und ist auch den Befürwortern klar. Wenn man sich jetzt mal darauf konzentriert, anstatt grosse Töne zu spucken, zeugt das jedenfalls eher von politischer Reife, als von der Unbedachtheit, die Ihr ihnen unterstellen möchtet.
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Re: Brexit
Antwort #13: Juni 26, 2016, 21:36:37
Was würdest Du denn von den Befürwortern jetzt genau erwarten?

Die können zum jetzigen Zeitpunkt ja genau sowenig Fakten aus dem Hut zaubern, wie das die Gegner können. Es folgen jetzt schwierige Verhandlungen. Das war und ist auch den Befürwortern klar. Wenn man sich jetzt mal darauf konzentriert, anstatt grosse Töne zu spucken, zeugt das jedenfalls eher von politischer Reife, als von der Unbedachtheit, die Ihr ihnen unterstellen möchtet.

Ich erwarte mir von den Brexitbefürwortern, dass sie einen Weg aus der EU formulieren, dass sie den Brexit jetzt schon öffentlich begleiten.

Ich hatte schon den Eindruck, dass der Wahlkampf der Brexitbeführworter mehr auf die Dummheit des Wahlvolks gesetzt hat.
Und es sollte mich auch nicht wundern, wenn sie die jetzt folgende "Härte", mit der die EU die Ausstiegsverhandlungen führen will, gerne noch Cameron überlassen würden. Sie wollen ihre Wählerschaft möglichst wenig Wahrheit vor der nächsten Wahl zumuten.
Ich glaube das Abducken könnte weniger "Konzentration", als viel mehr Angst und Ohnmacht sein.

Florian

  • Verderbliche Ware!
Re: Brexit
Antwort #14: Juni 27, 2016, 00:43:58
Ganz genau, anstatt jetzt wenigstens Willensbekundungen wie „so schnell wie möglich“ kundzutun heißt es von Boris nur noch „keine Eile“. Ob man Artikel 50 nutzen will? Keine Aussage. Dann macht man sich rar und lässt die Spekulationen laufen während Hunderttausende um ihre Zukunft bangen.
Cameron auch lächerlich, will noch vier Monate im Amt bleiben ohne Brexit-mäßig irgendetwas voranzutreiben.

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