Man kann natürlich nicht wissen, was passiert. Ich versuche mal einen Überblick.
Mubarak ist Geschichte, soweit würde ich aber schon vorhersagen wollen. Er will ja noch die Amtszeit absitzen - das wird nichts. Ich frage mich ja immer, was das soll. 30 Jahre via Ausnahmezustand regiert, im Mai wird er 83, die Milliarden dürften doch schon lange gut angelegt sein ausser Landes. Das sein Sohn ihn nicht mehr beerben wird wie geplant ist auch klar. Warum packt er nicht seine Koffer?
Auf jeden Fall ist wichtig: Die Länder unterscheiden sich extrem. Die Medien wollen jetzt schon einen Bogen spannen von Tunis bis Sanaa.
Gerade der Jemen bereitet allerorts große Kopfschmerzen. Das Land ist schon lange sehr unruhig, die Bevölkerung extrem jung (stark wachsend) und die Armut riesengroß. Der „perfekte“ Cocktail für schlimme Entwicklungen, wie uns Geschichte und Gegenwart lehren. Zudem sind die Animositäten innerhalb des Landes schon in den letzten Jahren stetig gewachsen. Ein „failed state“ Jemen gegenüber Somalias könnte ein Hotspot der Weltpolitik werden.
Für Tunesien bin ich recht optimistisch. Ich denke auch ein Erfolg der Demokratie hätte starke Auswirkungen auf die anderen Maghreb-Staaten. Libyen klammere ich einmal aus. Ein demokratischeres, dynamischeres, reicheres Nord(west)afrika wäre für Europa natürlich eine Art Lottogewinn. Hier muss wirklich alles unternommen werden, was uns möglich ist. Aber ich fürchte man starrt wieder mal orientierungslos auf die Szenerie. EU-Außenpolitik ist ja oft nur eine Lachnummer.
In Ägypten halte ich eine Liberalisierung für wahrscheinlich, wie weit sie gehen wird - die große Frage. Einen Fall in die Militärdiktatur oder eine Theokratie muss man m.E. nicht erwarten. Die viel gefürchteten Muslimbrüder stehen erstmal selber vor Richtungsentscheidungen, welche die Bewegung zerreißen könnten.
Assad/Syrien erscheint mir sattelfester. Hier fürchte ich sehr die Eröffnung einer Auslandsfront, um Dampf abzulassen. Im Libanon ist ja schon angerichtet.
Was meint Ihr wie sich die politische Lage in den arabischen Staaten verändern wird ?
Mehr in Richtung Islam
Mehr in Richtung nicht Islam.
Das ist teilweise zu beantworten: Insofern es zu einem Mehr an Demokratie geben sollte, wird es auch mehr
politischen Islam geben. Den meinst Du ja wohl.
Das muss uns aber nicht gleich immer Angst einflößen.
Und hier muss man einfach mal auf die Türkei kommen. Dort regieren schließlich auch „Religiöse“. Sicher ist dort nicht alles gut, aber doch sehr viel besser als in den arabischen Staaten. Es gibt eine legale Opposition, die ihre Bedeutung eher selbst minimiert hat als das es durch irgendwelche autokratische Methoden des Regimes geschehen wäre. Die Presse ist ziemlich frei.
Weder die Nato-Mitgliedschaft wurde in Frage gestellt noch wird das Land massiv islamisiert - auch wenn man gewisse Tendenzen sicher unterstellen kann. In Frage Menschenrechte wurden große Fortschritte gemacht, mehr als die vormaligen Regierungen in Jahrzehnten zustande gebracht hatten.
Und die Wirtschaft boomt!
Das wurde auch im arabischen Raum bemerkt. Irgendwie scheint es also doch auch besser zu gehen, ohne die Traditionen aufzugeben. Das man den Anschluss ans 21. Jahrhundert verloren hat, wissen die Leute. Ganz ähnlich wie vor 20 Jahren, und doch ganz anders.
Jedenfalls ist es spannend Geschichte zu erleben.
Definitiv. Aber wie heißt dieser chinesische Wohlspruch? „Mögest Du in langweiligen Zeiten leben“.
Ich gebe zu bedenken:
Iran 2009 („grüne Revolution“), Libanon 2005 („Zedernrevolution“) - da schrieben unsere Medien sich auch die Finger wund, da würde sich was ändern… Ukraine („orangene Revolution“) und so weiter, und so fort, viel zu oft wird zu früh gefeiert.
Und: Auch 1989/90 brachte neben vielen wunderbaren Entwicklungen leider auch demokratische Misserfolge und sogar Krieg und Völkermord.
Aber natürlich geht mir regelrecht das Herz auf, wie hier die Menschen auf die Strasse gehen, für Freiheit und auch Wohlstand. Trotz Risiken für Leib und Leben.