Hmm, ich vermute, dass unsere Assoziationen mit dem Begriff "Religion" nicht genug kongruent sind.
Als Religion bezeichnet man eine Vielzahl unterschiedlicher kultureller Phänomene, die menschliches Verhalten, Handeln und Denken prägen und Wertvorstellungen normativ beeinflussen. Es gibt keine wissenschaftlich allgemein anerkannte Definition des Begriffs Religion.
Also, ich widerspreche Wikipedia, bzw. würde doch ergänzen: Religion beinhaltet den Glauben an das/etwas Metaphysische(s). Sonst ist es vielleicht eine Ideologie. Aber auch das ist für Apple und den angeblichen Kult zu weit hergeholt. In Teilen haben wir es mit einem Fan-Phänomen zu tun. Ja, das können nicht alle Firmen aufweisen, aber doch einige, z.B. auch Nintendo, Google (ja, immer noch) oder auch die eine oder andere Automarke. In der Tat kaufen manche Menschen ihr Leben lang immer dieselbe Automarke, Biermarke, Colamarke, Zigarettenmarke, Rasierklingen…). Dieses Loyalität ist dann wohl auch schon Religion?
Ich meinte Religion nicht nur im rein negativen Sinn einer totalitären Organisation, die Abweichler und Kritiker bekämpft. Diese Bilderstrecke der SZ brachte IMO vieles ganz gut rüber.
Die Bildstrecke dürfte als Witz gemeint sein und ist auch so gestaltet. Man könnte das auch mit Parteitagen, Automessen oder Star-Wars-Cons basteln.
Dieses "Kultige" mit seinen Ritualen, Zeremonien, Mythen, Sakralbauten und auch einer Besessenheit und dem Glauben zur guten Seite zu gehören, ein besserer Mensch zu sein, ist, nun ja, doch sehr unüblich für ein Wirtschaftsunternehmen und gemahnt doch schon sehr an eine Religion. Und mich erstaunt es ja schon etwas, dass ich das hier ausführen muss.
Du hast recht, Du müsstet es nicht ausführen. Ich weiß schon, was Du meinst, nur wo sind denn die aktuellen Beispiele?
Welche andere Firma landet in dem Ausmass in den Schlagzeilen (bis hin zur Tagesschau), wenn ein neues Produkt lanciert wird oder der CEO sonst irgend etwas verlauten lässt? Ein solches Hängen an der Lippe des "Meisters" geniesst doch sonst höchstens noch der Papst oder vielleicht Bin Laden. Aber garantiert kein CEO. Nenn das, was hier abgeht, wie immer Du willst. Massenpsychose oder wie auch immer. Ich nannte es Religion. Aber dass Euch diese Supra-Normalität der Firma Apple nicht mehr auffällt, kann hoffentlich nicht wirklich sein, oder?
Das Apple in den Mainstream-Medien auftaucht, ist doch ein recht neues Phänomen, welches sich eben nicht aus den Mythen oder „Sakralbauten“ (welche???) herleitet, sondern zum allergrößten Teil dem Erfolg des iPods zu verdanken ist. Der iPod ist (oder war) eben
das erste, fast alle erreichende Spaßprodukt des neuen Jahrtausend, ja, seit Ewigkeiten, wohl noch mehr als die Playstation oder sonst was.
Wir sind das nur nicht mehr gewöhnt, daß alle mitreden können. Was überwindet schon alle Genre- und Subkulturgrenzen? Kino oder Computerspiele, Musik oder Kleidung jedenfalls nicht mehr. Nur iPod und… Windows als die Negativerfahrung für viele.
Zudem schoss der Aktienkurs durch die Decke, und das macht das jeweilige Unternehmen
immer zum Liebling der Presse, daß schaffte sogar Enron - für eine Weile.
Und natürlich kommt dem Apple-Boom das Internet zugute. Ja, diese Geheimwissenschaft um neue Produkte und das Hoffen auf das nächste „one more thing“ schafft eben Interesse bei den Gerüchteliebhabern, und besteht nicht 80% der Blogosphere aus dieser Klientel?
Der Vorteil von Apple ist halt außerdem, daß es tatsächlich mal tolle Überraschungen gab. Welche Firma kann das schon von sich behaupten?
Aber so extrem speziell ist Apple auch nicht. Es gibt z.B. massenhaft Gerüchteseiten und Fansites zu Intel/AMD oder Nvidia oder gewaltige Internet-Spiele-Phänomene, die auch an mit allesamt eher vorbeiziehen. Das heißt aber nicht, daß sie nicht existieren.
Und auch Microsoft und Google, um nur mal sie zu nennen, haben ihre Auftritte in der Tagesschau.
Das hat doch nichts mit der Größe zu tun.
Ich denke schon, doch. Der durchschnittliche Anhänger einer kleinen Glaubensgemeinschaft ist grösseren äusseren Widerständen ausgesetzt und seine Mitgliedschaft dürfte folglich eine ausdrücklichere Entscheidung, ein stärkerer Akt des aktiven Wollens sein.
Das ist wieder eine andere Frage, oben hast Du geschrieben:
„Es ist vermutlich auch so, dass die Teilnehmer von Gottesdiensten in kleinen Sekten mehr mitgehen, als bei Gottesdiensten von Massenreligionen.“
Das stimmt meines Erachtens nicht.
Unter den "Anhängern" einer Massenreligion dürfte es mehr Individuen haben, die einfach dabei sind, weil man dabei ist.
Ich stimme Dir zu, daß, solange Apple so massiv unter Druck war, es mancherlei Spinnereien gab. Das ist auch verständlich, schließlich arbeitete man gern mit Produkten, die womöglich demnächst nicht mehr verfügbar gewesen wären - so war jedenfalls die vorherrschende Stimmungsmache und auch das allgemeine Empfinden nach Jahren, in denen es immer weniger Macs gab.
Und ja, wahrscheinlich definierten sich auch manche Nutzer über den angeblich höheren Stellenwert ihres Rechners - noch viel öfter wurde das in Diskussion aber von irgendwelchen Troll behauptet, die gerne Flamewars anzettelten.
Aber genau das hat sich doch geändert! Apple ist weit weg von Underground oder einer „besseren Firma“. Insofern geht Dein Argument fehl, bzw. eigentlich müsstest Du nach ihm eine stetige Abnahme des Apple-Fanatismus feststellen können.
Und genau so sehe ich das:
Es wird doch alles immer langweiliger... äh, nüchterner.
Edit: Tags berichtigt.